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1991

Episode 35 Teil 2

Emil war ein alterfahrener CCCP-Reisender, im Gebrauch des Russischen weit fortgeschritten. Wir fielen über ihn her mit scharf geschmiedeten Worten.

Löffel und Biene
Bei Löffeln ist nicht alles Gold was glänzt. Foto: Th. Steinhoff

Was bisher geschah: Slavistik-Studentin Erika, die anders hieß und Germanist Thorsten, der immer noch so heißt, brachten 1991 einen jungen ukrainischen Grenzbeamten aus dem Konzept. Er hielt sie für Bonnie&Clyde und verdächtigte sie des verbotenen Waffenbesitzes im Fahrzeug, hier einem Zug von Odessa über Kiew nach Prag. Die Spannung im Abteil stieg.

Bis sich die Miene des Grenzbeamten wieder entspannte. Erikas und mein Gepäck mochten das begünstigt haben: Zwei langweilige deutsche Reisekoffer aus alten Familienbeständen. In solchen Koffern befördert niemand Knarren und Wummen. Und auch sonst nichts Verbotenes. Schließlich werden diese mit Leder bezogenen Holzkisten bei jeder möglichen Gelegenheit geöffnet und durchsucht. Nur nicht von modernen jungen westukrainischen Uniformträgern, wie es unser Best ever-Zollbeamte war. Insta-Like. Gab’s nur damals noch nicht.

Seine Augen wanderten kurz über die anderen Gepäckstücke im Abteil. Wieder fröhlich lächelnd meinte der Grenzer zu einem von uns: „In den Rucksack möchte ich doch einen Blick werfen.“ – Ohne Widerrede öffnete Emil – Name geändert – seinen tragbaren Textilturm und ließ den jungen Westukrainer die oben auf liegenden Handtücher beiseite schieben. Sofort war Schluss mit Lächeln. „Was ist das für ein Kästchen?“ fragte der Grenzbeamte. Emil zuckte mit den Achseln. „Das habe ich in Odessa auf dem Privōz gekauft.“ Diese knappe und zudem flapsige Auskunft ließ den Zöllner noch ernster werden. Er nahm das fein verzierte schwarze Kästchen in die Hand und öffnete die beiden kleinen Metallverschlüsse. Zum Vorschein kamen zwei goldene Teelöffel. Mit hübsch verzierten Griffen. Auf weinrotem Samt. Uj, sah nach altem Kunsthandwerk aus, wertvoll. Und – die Ausfuhr solcher Gegenstände war streng verboten. Emil wusste das. Wir wussten es auch. Was tun? – Musik.

[Musik: Romanze in a-Moll. Thorsten Steinhoff, 11.03.2024]

Emil war ein alterfahrener CCCP-Reisender, im Gebrauch des Russischen weit fortgeschritten. Das stellte er jetzt unter Beweis. Wortreich und gewandt überzeugte Emil seinen Kontrolleur, dass Goldlöffelchen und Schmuckkästchen billiger Touristen-Nippes seien, für die er gerade einmal eine Handvoll Rubel bezahlt habe. Nichts Wertvolles, nichts Echtes, nichts Altes. Die vermeintlichen Pistoleros, also Erika und mich, hatte der Gute ganz vergessen. Das nachsichtige Lächeln, das er Bonnie und Clyde Ost geschenkt hatte, nahm er nicht wieder an. Ernst und einigermaßen streng wünschte er unserer Abteil-Gruppe eine gute Heimreise, und verließ uns dann schweigend. Stille.
Aber nicht lange.

Wir fielen über Emil her. Natürlich ohne Axt und Klinge, dafür aber mit scharf geschmiedeten Worten. Wie diesen: „Mensch, was fällt dir ein?! Solchen auffälligen Nippes ganz oben in den Rucksack legen, gleich unter die Handtücher.“ Und so weiter und so fort.

Unser Mitreisender zeigte sein schönstes Pokerface und ließ uns toben. Wer sowjetische Verhältnisse aus dem FF kannte wie er, war ganz andere Schimpfkanonaden gewohnt, gerne auch mit Strafandrohung garniert. Strafe hatte er von uns Osteuropa-Küken nicht zu erwarten.
Nachdem das Scharren, Flattern und Schnattern also vorbei war, weil wir erstmal Luft holen mussten, erklärte er mit größter Ruhe: „Natürlich sind die Goldlöffel echt. Alt vermutlich auch, die Quelle auf der Krim war gut. Neunzehntes Jahrhundert, würde ich schätzen. Ich bin passionierter Sammler. Und habe das Kästchen extra ganz nach oben gelegt, damit ich es als billigen Touristen-Kitsch ausgeben kann. Hätte der Zöllner tiefer in den Rucksack gefasst, hätte er die richtig wertvollen Sachen gefunden.“

Uns blieb die Spucke weg. So sind sie, die alten SU-Reisenden. Total abgebrüht, Geheimdienstler sind eine stumpfe Hacke dagegen. Bonnie, pack die Knarre aus.

Heute, 2024, wüsste ich bei allem für mich persönlich weiter gepflegten Pazifismus, auf welchen altgedienten Geheimdienst-Mitarbeiter dringend jemand zielen sollte. Es muss ja nicht tödlich sein, außer Gefecht zu setzen reicht. Hätten Bonnie und Clyde vielleicht auch versuchen sollen. Haben sie nicht und wurden selbst ohne Gnade von Bleikugeln durchsiebt. Mögen sie Frieden finden, gelitten haben sie bestimmt genug. In diesem Auto, am 23. Mai 1934.