Viele Jahre lang mussten sich meine Schüler:innen mit Ajeleth herumschlagen. So war – und ist – der Name eines Schulungssystems der Stiftung Journalistenakademie Dr. Hooffacker GmbH & Co. KG in München. Wie dieses Onlinesystem zu seinem Namen kam, darum geht es in Episode 27 Ajéleth ha moráh.
Где ваша мóрá? – Über das letzte Wort dieser russischen Frage stolpert die Autokorrektur des Tablets, mit dem ich das Skript dieser Episode schreibe. Mórá, dieses Wort mit seiner ungewöhnlichen Betonung und Aussprache, findet sich in keinem russischen Wörterbuch. Nicht einmal im jüngsten Langenscheidt. Soviel (Anti-)Schleichwerbung muss hier mal sein, chó-chó.
Kein Kunststück, denn das Wort „móráh“ ist Ivrith, also Neu-Hebräisch. Ein Femininum. Das männliche Gegenstück „moréh“ ist allen ernstzunehmenden Theolog:innen ein Begriff, vor allem in der grammatischen Form „moréjnu“. Das bedeutet „unser Lehrer“. Und damit ist Mose gemeint. Unser Mose 1994 im Bejt Ulpán Odéssa hieß Ajéleth, war mithin eine Frau und so fragte der nette Mitarbeiter des Jüdischen Kulturzentrums: „Wo ist eure Lehrerin?“ –
Gde vascha mōrá?
Na, wo steckte sie denn? – Wahrscheinlich klüngelte sie gerade mit ihrer Kollegin, die die Fortgeschrittenen betreute. Fortgeschrittene in Sachen Neu-Hebräisch. Ich war im Einsteiger-Kurs. Und das war gut so. Gleichzeitig ziemlich kompliziert.
Wem Kompliziertes zu schwierig ist, der oder die scrolle auf der Player-Timeline jetzt direkt zu 3’39. Da gibt’s Musik.
Oh, noch hier? Na dann weiter im Text. Im Jüdischen Kulturzentrum Odessa konnten sich Aussiedler in spe auf ihre Zukunft in Erez Israel vorbereiten. Zum Beispiel durch landeskundliche Kurse, durch Religionsunterricht, durch allgemeine Beratung. Oder eben durch Ivrith-Sprachkurse. Ich hatte nicht vor, nach Israel zu übersiedeln. Wenigstens der mir bekannte Familienstammbaum gab das nicht her. Ein Vierteljahr nach den hier erzählten Erlebnissen sollte ich zum ersten und bisher leider letzten Mal nach Jeruschalajim und Tel Aviv kommen. Aber das ist eine andere Geschichte und im Spätherbst 1994 war das noch gar nicht abzusehen.
Im Jüdischen Bildungszentrum Odessa hielt ich mich öfters auf, weil ich mich hier mit „meinen“ zwei Autoren verabreden konnte. Der eine hatte es nicht weit hierher, den anderen konnte ich von hier aus immerhin anrufen. Die Familie, bei der ich wohnte, hatte kein Telefon. Die beiden Schriftsteller hatten es und das Bejt Ulpán ebenso. Man ließ mich kostenlos Ortsgespräche führen. Und auf Vermittlung des jüngeren Schriftstellers wurde ich ebenfalls kostenlos zum Ivrith-Einführungskurs zugelassen. Es war so einfacher, seine jiddischen Gedichte zu verstehen. Denn in denen wimmelt es nur so von hebräischen Ausdrücken. Hört selbst.
Als ein Maßstab für die literarische Qualität von jiddischen Texten gilt der Gehalt von hebräischen Ausdrücken. Es gab damals zwei Jiddisch-Wörterbücher, die dieser Sachlage Rechnung trugen: Den Harkavy und den Weinreich. Beides US-amerikanische Publikationen und auf dem sonst hoch ambitionierten Bücher-Markt in Odessas Stadtzentrum nicht zu bekommen. Ein Bücherhändler bot mir statt Weinreich und Harkavy eine neu-hebräische Grammatik an. Auf mein Kopfschütteln antwortete er, natürlich auf Russisch: „Junger Mann, bevor man sich mit Übersetzung beschäftigt, muss man erstmal die Grundlagen kennen.“
Ich hatte gerade keine Lust, ihm den Unterschied zwischen Jiddisch und Ivrith zu erklären. Aber ganz Unrecht hatte er ja nicht.
Sprich: Mit grundlegenden Ivrith-Kenntnissen konnte ich mir mutmaßlich den einen oder anderen Griff in ein nicht vorhandenes Wörterbuch ersparen. Dachte ich und fragte bald darauf Aleksandr Abramovitsch Bejderman, ob ich nicht an einem Sprachkurs teilnehmen könnte, den ich im Aushang des Bejt Ulpán gesehen hatte. Konnte ich. Aber, fieser Kliffhanger, das gehört zu Teil 2 von Episode 27. Stay tuned, folks. Bis zum ersten Advent!