Slawische Sprache – schwere Sprache. Das gilt gleichermaßen für das Russische wie das Ukrainische. Was das Ganze besonders schwer macht, ist der Verbal-Aspekt. Gastdozent heute: Vater Alekséj Filózof seligen Angedenkens.
Nebenbei bemerkt: Ich wünsche mir nach wie vor, diesen Odessa-Podcast nicht für immer alleine betreiben zu müssen. Anders als bei meinem Kirchenmusik-Podcast Oton B, den ich nach 40 einsamen und publikumsfreien Folgen einstellte, ziehe ich es diesmal aber durch. Wenn es sein muss, bis in die Ewigkeit.
Wenn ich mir einen Gastsprecher aus der Ewigkeit wünschen dürfte, wäre das Vater Alekséj Filózof, ehemals Mönch im russisch-orthodoxen Kloster von Odessa. Mithin an einem spannenden Ort, damals wie heute.
Damals, Anno 1995, ging es auf Ostern und mit Hilfe einer wahrhaft bekenntnisübergreifenden Gottes-Gang war es mir gelungen, eine Pilgerreise ins Heilige Land zu organisieren. Der Beitrag der russisch-orthodoxen Seite war ein Reisesegen. Genau den gedachte ich mir abzuholen, als ich Vater Alekséj im Kloster aufsuchte.
Es war keine Privataudienz, wie ich sie Wochen später bekam. Nein, ich, der Westkirchliche, musste mir den Starzen, den Altehrwürdigen, mit rechtgläubigen Besucherinnen und Besuchern teilen. Die kamen mit unterschiedlichen Anliegen zu ihm. Vater Alekséj saß in einer Seitenkapelle, vor ihm hatte sich eine überschaubare aber trotzdem beeindruckende Warteschlange gebildet. Nach damaligen zivilen Maßstäben eine nette jugendliche Schlange, frisch geschlüpft.
Ungefähr fünf Halte vor mir trat eine recht junge Frau an den altehrwürdigen Mönch heran und flüsterte ihm ihr Anliegen ins rechte Ohr. Vater Alekséj nickte und sagte der Frau mit leiser Stimme, wie sie sich jetzt aufzustellen habe. Sie nickte ihrerseits, ging ein paar Schritte rückwärts und schloss die Augen.
Vater Aleksej griff zu einem langen Pinsel, der in einem Weihwasserbehälter steckte. Der weißbärtige Staréts zwinkerte mir zu. Meine Freundin K. hatte ihm schon gesagt, weswegen ich zu ihm kam. Was jetzt passierte, stand mir kurz bevor. Denn die Frau hatte wie ich um einen Reisesegen gebeten.
Während sie die Augen geschlossen hielt, zog Vater Aleksej den von geschätzt einem halben Liter Wasser triefenden Pinsel aus dem metallenen Gefäß und verabreichte der Gläubigen dann ein platschnasses Kreuzzeichen. Das Wasser war kalt, der Gesichtsausdruck der Gesegneten passte sich dem an. Platsch – von oben nach unten. Augenliedzucken. Und Plaaatsch – das war der Querbalken, von rechts nach links, wie es sich in der Orthodoxie gehört. Trockenschütteln. Half natürlich nichts, halber Liter bleibt halber Liter.
Nachdem die korrekte Segensformel gesprochen und die Frau reisefertig abgezogen war, grinste mich Vater Aleksej nochmal an. Das kriegst du auch gleich.
[ Musik: Variation über Händel-Thema]
Okay, vorher gab es noch mehr Ansuchende. Etwa ein kleines Mädchen, vielleicht neun Jahre alt. Selbst wortlos, im schönsten Kleidchen und rührend schüchtern. Ganz anders ihre Mama.
Die überreichte dem Starzen ein Bändchen mit der ziemlich laut vorgetragenen Anmerkung:
„Das ist von Natascha!“ – Name von der Podcast-Redaktion geändert.
– „Sie schreibt Gedichte über Gott!“ –
Mama war stolz wie Oskar, das Töchterchen peinlich berührt. Vielleicht weil Mama die Werbebotschaft minimal variiert noch einmal vortrug.
Vater Aleksej nickte, nahm das Bändchen an und sagte: „Budem tschitátj.“ – Zu Deutsch: Wir werden (darin) lesen. Für die Grammatiker hier: Futur im unvollendeten Aspekt. Das reichte Nataschas Mama nicht. Sie wollte offensichtlich, dass der Starez die Quasi-Offenbarung ihres Kindes in voller Gänze zur Kenntnis nahm, geistig verinnerlichte, würdigte, die Kanonisierung einleitete. Was in der Orthodoxie allerdings noch viel komplizierter ist als bei uns Weströmern. Entsprechend freundlich bestimmt blieb Vater Aleksej: Budem tschitátj. Unvollendet und Futur. Also nicht augenblicklich. Sichtlich enttäuscht zog Nataschas Mama sich verneigend ab.
Wenige Minuten später bekam ich den nassesten Reisesegen meines bisherigen Lebens. Plitsch, platsch, vollendet. Soverschénnyj vid, wie der Slawist sagt. Und der Katholik sagt: Amen. – Futur hebraicum.