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Odessa

Episode 23: Zwiebeln und das Ende der Welt

Stolz war er, El Macho, stolz auf seinen Körper. Wie ich ihn brach, darum geht’s heute im Odessa-Podcast.

Wer hat hier gewonnen? – Der Podcaster und sein erbitterter Gegner, ein Zander.

Stolz war er, El Macho, stolz auf seinen Körper. Und auch sonst ein echter Mann, ganz nach Hauswirt Valerijs Herzen. Wie ich ihn brach, darum geht’s heute im Odessa-Podcast.

Äto konéts sveta! – Das ist das Ende der Welt! Einmal hörte ich das aus dem Mund unseres Hauswirts, des Odessaer Originals Valerij. Und einmal sah ich diese Worte in seinen Augen. Da half ich seiner Frau, der wunderbaren Valentína Petróvna. Ich half ihr beim Abspülen, beziehungsweise übernahm ich diesen niederen Dienst komplett. Mache ich übrigens nach wie vor mit Leidenschaft. Für Valerij ging damals die Welt unter.

Wieso? Nun, mit seinem Bild von Männlichkeit war Abwasch nicht vereinbar. So wenig wie Gemüseschnippseln oder pflanzliches Bratfett einkaufen. Nein, wenn sich ein echter Mann schon im Umfeld der Küche betätigte, dann musste Blut fließen, wie beim Schlachten. Oder wenigstens Bratensaft. Beim Verzehr der mit weiblicher Kunstfertigkeit zubereiteten Köstlichkeiten.

Abspülen, das ging gar nicht. Und als Valentína Petróvna mich just wegen dieser Tätigkeit lobte, mich gar als Vorbild hinstellte, da blieb ihrem Göttergatten nur ein Kopfschütteln. Ein sehr trauriges, denn eigentlich hielt er viel von mir. „Mir gefällt, wie Thorsten arbeitet“ sagte er einem Freund, als der mit seinem Sohn vorbeikam, besagter Junge Student am Konservatorium. Wie sich erwies, als er mich am Flügel ablöste. Für mich war und ist Klavierspielen eine Erholung. Genau das, was Valerij damals bei mir so großartig fand. Schreiben, redigieren, in Lesesälen recherchieren und zwischendurch Haydn-Sonaten spielen, das war okay. – Aber Athletik treiben, gemeinschaftlich den Hormonspiegel pflegen und zwischendurch Nahrung einfordern, das wäre noch besser gewesen. Wie es Valérijs älterer Sohn Petja praktizierte.

Als ich Valerijs Welt per Spülschwamm auf den Kopf stellte, war glücklicherweise schon El Macho als Gast im Haus. Natürlich hieß er anders, aber so viel Identitätsschutz muss sein.

El Macho trat in die Küche, die gleichzeitig unser Badezimmer war. In Episode 20 erwähnte ich die Dusche, die sich einen Gas-Durchlauferhitzer mit dem Spülbecken der Küche teilte. Zum Spülbecken der Küche wollte unser Gast-Muskelmann nicht, als er mit verschlafenen Augen und nacktem Oberkörper in Valerijs und mein Blickfeld trat. Er wollte nur duschen. „Vót!“ – Sieh da! rief Valérij aus, „das ist ein richtiger Mann!“ Ach Valerij.

(Musik: Kto ransche s neju byl)

Einige Tage später. Diesmal war Hauswirt Valérij außer Haus oder noch am Schlafen. El Macho lag noch in Morpheus’ starken Armen. Oder denen von, hüstel.

Ich war in der Küche und diesmal nicht mit Abspülen beschäftigt. Vielmehr zog ich einem Zander und zwei Karpfen die Haut ab. Valentína Petróvna hatte mir gezeigt, wie das geht. Und so bekam ich meine persönliche Einführung in die Zubereitung von „gefilte Fisch“.
Wer dieses Gericht aus Israel kennt, wird jetzt wohl protestieren. Moderne „gefilte Fisch“ sind Fischklößchen in einer schmackhaften Sauce, keine gestopften Fischhäute.
Okay, aber Valentína Petróvna hatte die Zubereitung dieses Klassikers bei einer Köchin gelernt, die nicht modern war, sondern traditionell aschkenasisch.

Ob man „gefilte Fisch“ nun traditionell oder modern zubereitet – für den Teig und auch für den Sud braucht man Zwiebeln. Viele Zwiebeln. Geschälte und geschnittene Zwiebeln. Tränentreiber.
Ich war schnell mit den Fischen fertig und musste dabei nur wenig Blut vergießen. Ein bisschen eigenes, weil Zander-Rückenflossen fies scharf sind. Aber kein Heulen deswegen. Wer kochen kann, kann auch bluten. Weiter mit den Zwiebeln.

Da kam El Macho in die Küche, diesmal noch nicht duschreif, dafür mit Appetit. Er sah die bereits gefüllten Behältnisse auf dem Küchentisch und erkundigte sich, ob Frühstück dabei sei. „Nein“ erwiderte ich. „Aber du kannst gerne Zwiebeln schälen.“ Irritiert sah mich unser Gast-Muskelmann an. Ich nutzte seine kurze Denkpause für einen unerwarteten Appell: „Willst du heute Abend was essen, Stefan, oder nicht?“ Huch, jetzt ist mir der echte Name doch rausgerutscht. Hihi. Stefan El Macho nickte. Jetzt also noch einen rechten Haken: „Dann kannst Du die Zwiebeln hier schälen. Ist nur ungefähr ein Kilo.“
Das Wunder geschah, der Bodybuilder setzte sich und fing an, Zwiebeln zu schälen. Als es ans Schneiden ging, gab er auf. Weichei! Aber vielleicht wollte er auch nur nicht von Valérij bei unmännlicher Arbeit erwischt werden. Zwiebeln schneiden am Morgen – Weltuntergang now! Oder: Äto konéts sveta!

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