Alles schön der Reihe nach – lernte ich als Kind in Deutschland.
Alles schön zeitlich durcheinander – lernen Filmfans bei Quentin Tarantino.
Der Episode 28 abschließende dritte Teil orientiert sich eher am Splatter-freudigen Regisseur. Aber keine Sorge: Mein Schurke ist friedlich. Na ja, beinahe.
Der gute Ischtvan, wie ich den mir namentlich tatsächlich Unbekannten nennen möchte, machte nur seinen Job. Ähnlich wie der Krampus in Teil 2 dieser Episode. Und wie Krampus Jörg war dem Ischtvan ein Engel anvertraut. Den er beschützte. Vor mir.
Wir springen zeitlich zurück vom adventlichen Dezember in den Oktober desselben Jahres 1994.
Hoffnungsvoll hatte ich im Bejt Ulpán, dem Jüdischen Kulturzentrum Odessa, angefangen, Ivrith zu lernen.
Der für mich stärkste Schönheitsfehler: Beide Dozentinnen, also auch meine Morāh Ajéleth, waren planmäßig nur für einen Monat in Odessa. Und nachdem sechs Kurssitzungen binnen zwei Wochen stattgefunden hatten, sagte uns Ajéleth: „Am Tag nach unserer nächsten Sitzung fliege ich nach Hause.“ Sie sagte es auf Englisch und ließ es mich ins Russische übersetzen.
Nach der Sitzung hatte Ajéleth noch eine weitere kleine Übungsaufgabe für mich. Eine Kursteilnehmerin – es war dieselbe, von der ich in Teil 1 dieser Podcast-Episode erzählte – wollte von Ajéleth die Kontaktdaten haben. Damit sie nach ihrer geplanten Übersiedlung nach Israel gleich eine Bezugsperson habe.
Ajéleth hatte Erfahrung genug mit sowjetisch geprägtem Beziehungswesen, um ihre Kontaktdaten nicht herauszugeben. Das war mir schon klar, als ich die Bitte meiner Sitznachbarin ins Englische übersetzte. Ins Neuhebräische konnte ich es nach sechs Kursstunden noch nicht.
Vielleicht gerade deswegen antwortete mir meine mōrá zunächst auf Ivrith, eingeleitet durch eine Frage, auf die ich Neuhebräisch antworten konnte und sollte.
In meinem Kopf tanzten vier Sprachen miteinander: Russisch, Deutsch als Medium, Englisch und Hebräisch. Darf es noch etwas Latein sein? Oder Jiddisch? Glücklicherweise hielten sich diese beiden raus. Ich musste meiner lieben Banknachbarin nur noch auf Russisch erklären, dass Ajéleth ihr leider weder ihren Nachnamen noch ihre Telefonnummer oder Anschrift geben wollte.
Ich ärger mich bis heute, dass ich sie nicht später persönlich danach gefragt habe. Sie wusste ja, dass ich als einziger nicht nach Israel übersiedeln wollte. – Aber es gab, aus damaliger Sicht, ja noch die allerletzte Stunde am Montag. Auf die ich mich trotz aller Trauer wegen des abrupten Kurs-Endes voller Erwartung freute.
[Musik]
Es war Montag der 17. Oktober 1994, als unsere letzte Ivrith-Stunde stattfinden sollte. Kurz nach Einbruch der Abenddämmerung.
Zufällig trat ich früher in den Innenhof des Bejt Ulpán. Durch das Fenster unseres Kursraums sah ich Ajéleth in weißem Hemd und mit einer Kerze. Nicht das Outfit, das sie gewöhnlich als Kursleiterin trug.
Ich hörte, was die andere Ivrith-Lehrerin zu dem Schauspiel sagte. Sie leitete den Fortgeschrittenen-Kurs. Allzu weit schienen die Fortgeschrittenen uns Anfängern nicht voraus zu sein, denn Ajéleths pantomimische Performance wurde auf Russisch kommentiert. Ich genoss die Show bis… zum Auftritt des Schurken Ischtvan. Ein ungenießbarer Quarter Pounder, Vincent.
Obwohl der Antisemitismus in Odessa damals latent und nicht mit Aktionen verbunden war, hatte das Bejt Ulpán wie alle öffentlichen Einrichtungen der Stadt einen Sicherheitsdienst.
Hier war es nicht die übliche Pförtnerin, die Dezhūrnaja, sondern ein junger Mann, mutmaßlich unbewaffnet, aber wehrhaft. Vor allem im Ton.
„Junger Mann, was suchen Sie hier?“ fragte er mich einigermaßen barsch. Er war wahrscheinlich nicht älter als ich, aber er war hier der Wächter.
Ich erklärte ihm, dass ich Teilnehmer des Ivrith-Kurses sei, eine Stunde zu früh dran, und mich am Schauspiel meiner Lehrerin erfreue. Er nahm mir das ab. Der Bösewicht. Als Schurke erwies er sich durch seine Antwort: „Dann macht es ja nichts, wenn Sie rechtzeitig kommen. Also in einer Stunde, wenn Sie dran sind.“ Und damit verwies er mich des Geländes. Resistance is – äh, sorry, anderer Film.
Als ich eine Stunde später wiederkam, ließ der Borg mich rein. Leider gab es für uns keine Theatervorführung. Nur einen Abschied von unserer Ajéleth ha morah.
Darum wird es in Episode 29 gehen, mit der ich Jahr und Podcast-Trilogie am 31. Dezember beenden werde.
Ich wünsche Euch und Ihnen allen eine gesegnete Zeit des wieder in die Welt kommenden Friedens. Gott wolle es. Amen.